Feuer und Flamme fürs Mehrgenerationenwohnen - FNP 17.09.2024

Kelkheim: Feuer und Flamme fürs Mehrgenerationenwohnen

Von: Frank Weiner, Frankfurter Neue Presse, 17.09.2024

Wie sozial wird es? Genossenschaften haben Interesse am Bau von gut 20 Wohnungen an Feldbergstraße.

Kelkheim. Der Saal im Bauausschuss war voll. Freie Stühle mussten sich eintrudelnde Besucher vom Stapel nehmen. Angelockt wurden vor allem die Mitglieder des Kelkheimer Vereins „Vielfalt Wohnen“ (Text rechts), die sich durch ihre Schilder an Hemd und Shirt zu erkennen gaben, von den Präsentationen zum Thema genossenschaftlicher Mehrgenerationen-Bau. Denn ein besonderes Wohnprojekt wird in der Stadt kommen. Die politische Mehrheit hat durch den Verbleib des Museums am bisherigen Standort dafür am ehemaligen Pfarrzentrum an der Feldbergstraße Platz gemacht. Bevor das Vorhaben aber ausgeschrieben wird, hatte die SPD eine Vorstellung von Fachleuten angeregt.

Kaltmieten genannt: 12,50 bis 16,50 Euro

Zwei zeigten nun Flagge im Bauausschuss - die „Oekogeno“ aus Freiburg und die „Fundament Bauen, Wohnen, Leben“ aus Frankfurt. Bei „Fundament“ ist Michael Knoche aus Fischbach aktiv. Er hält das Kelkheimer Projekt für „sehr unterstützenswert“ und findet: „Man kann ja hier nicht nur Einfamilienhäuser bauen.“ Ziel sei es, neue Wohnform zu unterstützen, so Knoche. Wichtig dabei: Die Mitglieder der Genossenschaft bestimmen ehrenamtlich in den Gremien die Marschroute mit. Die neue Initiative wurde 2005 gegründet und hat 2007 mit einem ersten Projekt für Familien in Preungesheim losgelegt - ein Mehrfamiliengebäude im Passivhaus-Stil mit einer Kaltmiete von 8,40 Euro. Beim zweiten Vorhaben auf dem Frankfurter Naxos-Gelände im Ostend seien es schon 12,50 Euro gewesen. In diesem Jahr will die Genossenschaft laut Knoche noch ein saniertes Gebäude in Bornheim übernehmen. Ein anderes Vorhaben ist an den gestiegenen Baukosten gescheitert. Wer bei „Fundament“ mitmacht, sollte mindestens für 5000 Euro Anteile zeichnen, erhalte ein „lebenslanges Nutzungsrecht“, so der Fischbacher, der indirekt den Hut für die Feldbergstraße in den Ring warf: „Die Stadt erhält einen lebendigen, nachhaltigen, ökologisch wirtschaftenden Investor mit Bürgern, die sozialen Mehrheit produzieren.“

Das wird auch die „Oekogeno“ immer für sich betonen. Joachim Bettinger kaum als offizieller „Botschafter“ extra aus Freiburg hierher. Vor 30 Jahren fing es mit der Gründung eines Vereins an, 1988 startete die Ökobank. Inzwischen sind es 16 000 Mitglieder mit dem Interesse, „alternative Formen des Wirtschaftens voranzubringen“. Sechs inklusive Mehrgenerationen-Wohnprojekte sowie zehn Solar- und drei Windkraftanlagen wurden umgesetzt. Das Kelkheimer Areal kenne er bereits, kann sich zwischen 20 und 23 Wohnungen gut vorstellen, so Bettinger. Auch hier ist das Interesse da - gut möglich, dass die Bewerbung in Kombination mit Lokalmatador „Vielfalt Wohnen“ ins Rathaus flattert.

Angebote wie Gemeinschaftsflächen, Gemeinschaftsraum, Gäste-Appartement, Optionsräume (Arbeitszimmer, Werkstatt), Waschsalon, eigenes Carsharing, Gartenzugriff zu Selbstversorgung, Mieterstromanlage und Eigenversorgung sind mögliche Bausteine. Die Genossenschaft, die rund 30 Mitarbeiter und seit 2014 etwa 220 Millionen Euro investiert hat, sei am „Gemeinwohl orientiert“ und „sinnstiftend“. Mit dem Projekt Feldbergstraße mache Kelkheim einen guten Anfang. Ein Konzeptverfahren wäre sinnvoll - denn hier gewinne nicht der Bieter mit dem höchsten Preis, sondern der mit den am besten passenden Ideen.

Auf die Nachfrage, ob er die Stadt beraten könne, musste Bettinger absagen. Denn schließlich will sich „Oekogeno“ wohl selbst bewerben. Thomas Horn (CDU) verwies darauf, dass die „Wirklichkeit“ beim Bauen längst eine Kostenmiete von um 20 Euro aufrufe. Mit welchen Beträgen der Genosse rechnen müsse, wollte er wissen. Bettinger schilderte die Realität beim ersten hessischen Projekt auf dem Klostergelände in Ilbenstadt, einem Gebäude voll in Holzbauweise. Da liege die Kaltmiete mit allem Drum und Dran bei 16,50 Euro, zudem mussten die Genossen 120 000 Euro Eigenanteil beisteuern. Dafür seien aber Gemeinschaftsflächen als „Mehrwert“ in den Kosten drin.

Solche Zahlen brachten unter anderem UKW-Fraktionschefin Doris Salmon ins Grübeln. Wie lasse sich damit der Grundsatz dieser Wohnform für Arm und Reich, Alt und Jung vereinbaren? Laut Bettinger gibt es teils unterschiedliche Mieten für Familien und zum Beispiel etwas besser gestellte Senioren. Er monierte aber auch, dass das Land Hessen bei den Fördermitteln hinterher hinke. Auf Salmons Frage, was denn bei veränderten Familienverhältnissen passiere, sagte Bettinger: Es sei durch entsprechende Planung möglich, Wohnungen auch zu vergrößern oder verkleinern. Bei einem konkreten Problemfall, der die Gemeinschaft gestört habe, seien eine Alternative gesucht und ein Zuschuss zum Umzug bezahlt worden. Noch nicht im Detail haben sich die vorgestellten Genossenschaften mit speziellen Hygienekonzepten befasst. Dazu hakte Norgard Ortwein-Horn (CDU) nach, denn es gebe ja viele gemeinsam genutzte Bereiche.

„Es lohnt sich, da dran zu bleiben“

Unter dem Strich aber freut sich die Kelkheimer Politik darauf, dieses Vorhaben umsetzen zu können. „Das wäre ein tolles Projekt, ein Anfang“, sagte Wolfgang Coy (UKW). Patrick Falk (FDP) machte zwar deutlich, solche Gebäude seien zwar „viel zu teuer für den sozialen Wohnungsbau - wer solche Träume hat: die kann man vergessen“. Doch rennen die Genossenschaften auch „bei uns offene Türen ein“. Bürgermeister Albrecht Kündiger (UKW) hat mit der Verwaltung schon mal grob geplant für ein dreigeschossiges Gebäude mit etwa 20 Wohnungen. Für die Ausschreibung wird nun ein Berater gesucht. „Wir haben den Ehrgeiz, dass wir diesen Weg weitergehen. Die vielen Gesichter hier zeigen ein großes Interesse. Es lohnt sich, da dran zu bleiben.“

Verein „Vielfalt Wohnen“ wächst und gründet Freizeitgruppe

Der Verein „Vielfalt Wohnen“ ist ein Phänomen und muss sich manchmal selbst ob des rasanten Tempos die Augen reiben. „Es ist für uns ein Positivum, dass sich nach zehn Monaten so eine Entwicklung ergeben hat“, sagt Gert Nötzel, der mit Veronika Runge die Doppelspitze bildet. Sie seien bekannt geworden, würden von anderen Kommunen um Informationen gebeten, sogar von Architekten angesprochen. Ziel des Vereins ist es, ein Mehrgenerationenhaus in Kelkheim zu ermöglichen.

Da sind sie auf dem besten Weg und sehr zufrieden über die Entscheidung der Politik. Die hat Anfang Juli eine Erweiterung des Museums im alten Pfarrzentrum an der Feldbergstraße verworfen, es soll am Standort Frankfurter Straße modernisiert und ausgebaut werden. Auf dem dann freien Grundstück sollen die Gebäude abgerissen und ein Haus fürs gemeinschaftliche Wohnen auf Basis eines Erbbaurechts errichtet werden. „Der Magistrat sucht mittels Ausschreibung einen Betreiber, der für Bau und Betrieb des Mehrgenerationenhauses verantwortlich ist. Insbesondere sind die sozialen Zwecke des Mehrgenerationenwohnens zu berücksichtigen“, heißt es im Antrag von CDU, UKW und SPD.
Eine breite Mehrheit ist also da, interessierte Betreiber auch mindestens mit den Genossenschaften „Oekogeno“ und „Fundament“, die sich jetzt vorgestellt haben. Dass es wohl eine Wahl geben wird, finden Nötzel und Runge prima. Sie betonen, dass der Verein nicht als Betreiber auftreten, sondern später vielleicht das Haus mit Leben füllen wird. Möglich ist, dass „Vielfalt Wohnen“ gar nicht zum Zuge kommen wird. Für die Mitglieder sei ihr Engagement „keine Garantie“ zum Einzug, so Runge. Sie freut sich aber über immer mehr Interesse an der Gruppe, die durch 2 Eintritte nach dem Ausschuss rund 40 Mitglieder sowie einen noch größeren Freundeskreis hat.

Viele bereit, auf viel Raum zu verzichten

Der Verein hat bereits beschlossen, dass er unter ein Genossenschafts-Dach schlüpfen will. In der „Oekogeno“ sind sie Mitglied, hier war eine Absichtserklärung geplant. Diese Zusammenarbeit sei „nicht ausgeschlossen“, sagt Nötzel, der aber betont: „Es muss passen.“ Im aktuellen Stadium wolle „Vielfalt Wohnen“ auch „niemanden privilegieren“. Die Stadt muss nun eine Ausschreibung vorbereiten, dann werden die Interessenten Flagge zeigen. Wichtig aber ist dem Duo, dass in einem solchen Wohnhaus soziale, inklusive Belange berücksichtigt werden. Und dass die Chemie stimmt. In einer Umfrage seien die Mitglieder unter dem Credo „Vom Ich zum Wir“ bereit, auf jeweils rund 50 Prozent ihres bisherigen Wohnraums zu verzichten, berichtet Nötzel begeistert.

Ein weiteres Fundament ist die neue Freizeitgruppe, die „Vielfalt Wohnen“ intern ins Leben gerufen hat. Fünf Mitglieder haben spontan die Organisation von Aktivitäten übernommen - vor allem Wandern, dazu Treffen, Ausflüge. Einmal im Monat sind sie unterwegs. Zudem hat sich eine wöchentliche Walkinggruppe gebildet. „Die Gemeinschaft muss da sein, die Haltung“, sagt Nötzel mit Blick auf das Wohnen unter einem Dach mit Gemeinschaftsraum, Treffen, Kochen, vielleicht Kultur und Vorträgen. „Es ist ein offenes Projekt, und es sind viele Blüten, die momentan aufgehen.“ Das große Interesse an ihrer Idee begeistert sie. Da haben sie den kleinen Rüffel in der Stadtverordnetenversammlung im Juli gerne in Kauf genommen, als sie nach der Entscheidung für das Mehrgenerationenhaus im Zuschauerraum geklatscht haben. 

Treffen und Kontakt

Interessenten könnten am 5. November um 19 Uhr die offene Vorstandssitzung im Alten Rathaus Münster besuchen oder sich per E-Mail wenden an
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